Der globale Wandel und
die „reife
Zivilgesellschaft“
von Ralf Manthey
Die Erde und die Menschheit befinden sich schon seit Jahrzehnten in einer tiefen Krise in allen Bereichen (gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, ökologisch etc.). Diese Krise ist die Folge eines intensiven und tiefgreifenden globalen Wandlungs- und Transformationsprozesses. In esoterischen Kreisen spricht man auch oft davon, dass die Erde (und die Menschheit) gerade einen ca. 2000-jährigen evolutionären Zyklus beendet und sich auf der Schwelle zu einem neuen 2000-jährigen evolutionären Zyklus befindet, den man auch das „Wassermann-Zeitalter“ nennt. Durch die immer intensiveren gesellschaftlichen und persönlichen Krisen werden die Menschen dazu angehalten, ihre überholten und lebensfeindlichen Denk- und Verhaltensweisen und die damit verbundene tiefe Spaltung und Entfremdung zu hinterfragen und zu überwinden.
Ein typisches Merkmal für den Wandlungsprozess ist, dass alte, überholte Denk- und Verhaltensmuster im Spannungsfeld (Konflikt) mit den neuen und ganzheitlicheren Denk- und Verhaltensweisen stehen. Das betrifft sowohl den Einzelmenschen als auch das Kollektiv. Daher empfinden nicht wenige Menschen den Wandel als Bedrohung und leisten inneren und äußeren Widerstand. Besonders einflussreiche globale und nationale Kräfte (Religionen, Regierungen, Politik, Wirtschafts- und Finanzelite) versuchen mit allen Mitteln (z.B. durch Manipulation), die alten Strukturen und Machtverhältnisse zu bewahren; sie können den Wandlungsprozess aber letztendlich nur verzögern, aber nicht aufhalten. Daher wird der Wandel nicht von „oben“, sondern von „unten“, von ganzheitlich orientierten Menschen aus der gesellschaftlichen Basis, vorangetrieben. Diejenigen Menschen, die den Wandel durch praktisches Beispiel leben und damit vorantreiben, nenne ich die „Reife Zivilgesellschaft“.
Man findet Vertreter der „Reifen Zivilgesellschaft“ in allen Ländern, Gesellschaftsschichten, Institutionen, Berufsfeldern und Altersklassen. Der amerikanische Soziologe „Paul H. Ray“ hat diesen Menschentypus Ende der 80er Jahre als die „Kultur-Kreativen“ bezeichnet, weil sie diejenigen sind, die aus sich heraus eine neue Kultur aufbauen und damit die Inhalte eines neuen evolutionären Abschnitts repräsentieren und manifestieren.
- geben sich nicht damit zufrieden, alle
vier Jahre bei einer Wahl ihre Stimme abzugeben, sondern sie
wollen aktiv,
da, wo sie leben (in ihrem Stadtteil, Gemeinde, Kommune, Dorf etc.),
konkret ihre Visionen und Vorstellungen gemeinsam mit
ihren Mitmenschen umsetzen.
Da sie aber gern unabhängig
bleiben, trifft man sie eher selten in Parteien und konventionellen
Organisationen an. Sie sind aber weder weltfremde Außenseiter noch
verschrobene Einzelgänger, sondern sie arbeiten flexibel und
vernetzt in Gruppen von Gleichgesinnten mit flachen Hierarchien. Sie
gründen z.B. unabhängige Interessengruppen, Bürgerinitiativen,
Stadtteilgruppen, Wohn- und Lebensgemeinschaften, freie Kindergärten
und Schulen etc.
- zeichnen sich durch ganzheitliche
Sicht- und Lebensweisen aus und
bringen neue und unkonventionelle Ideen und Visionen zur Lösung
gesellschaftlicher Missstände ein, engagieren sich sozial (z.B.
durch Ehrenamt) und tragen damit zur Gestaltung einer humaneren
Gesellschaft bei. Sie experimentieren mit gemeinschaftlichen
Lebensformen (wie z.B. Lebensgemeinschaften, Ökodörfern, Wohnformen
für mehrere Generationen unter einem Dach etc.) und bemühen sich, die individuellen und die gemeinschaftlichen Bedürfnisse in eine ausgewogene Balance zu bringen.
- wissen,
dass wirklich tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen lange Zeit
brauchen und nicht über Nacht und ohne eigene Anstrengung entstehen.
Außerdem ist ihnen bewusst, dass die heutigen (äußeren)
gesellschaftlichen Missstände oft auch ein Spiegel (innerer)
individueller Missstände sind. Durch kritisches
Hinterfragen und Selbstreflexion setzen sie sich mit ihren eigenen
Schatten und Schwächen auseinander und nehmen sie als menschliche
Begrenzung an. Sie sind daher auch tolerant gegenüber den Fehlern
und Unzulänglichkeiten ihrer Mitmenschen eingestellt.
- sind i.d.R. gut informiert über die
globalen politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Missstände. Sie arbeiten gemeinsam mit
anderen an der Lösung dieser Missstände. Anstatt aber ihre Kräfte
im permanenten Kampf gegen das Negative aufzureiben (natürlich ohne
sich für das Leid ihrer Mitmenschen und Umwelt zu verschließen),
konzentrieren sie sich lieber auf realistische, konstruktive und
positive Lösungsansätze.
- bevorzugen nachhaltig,
umweltfreundlich und sozialverträglich
produzierte Lebensmittel und Produkte. Auch praktizieren sie einen
gemäßigten Konsum, nach dem Motto „Weniger ist mehr“ und "Qualität geht vor Quantität". Sie
wollen aber nicht nur passive Konsumenten sein, sondern in ihrem
unmittelbaren Lebensumfeld (Nachbarschaft, Gemeinde, Stadtteil etc.)
eine nachhaltige und umweltfreundliche Lebenskultur aktiv gestalten.
Z.B. legen sie eigene ökologische Gärten zur Selbstversorgung an
(Gemeinschaftsgärten), unterstützen durch Einkaufsgemeinschaften
ökologische Bauern vor Ort (SOLAWI),
gründen Tauschbörsen, Repair-Cafes, Nachbarschaftshilfen und
Bürgerinitiativen u.v.m.
- lieben und wertschätzen ihre Heimat
und ihre geografische Herkunft auf angemessene Weise (aber ohne
nationalistische Anwandlungen), gleichzeitig empfinden sie sich aber
auch als ein Teil der globalen Menschheitsfamilie und haben daher ein
starkes Interesse, sich übergeordnet an der Lösung globaler
Probleme zu beteiligen.
- versuchen, eine
Brücke zwischen Tradition und Moderne und
der älteren und jüngeren Generation zu bauen. Sie betonen dabei
mehr das Gemeinsame als das Unterschiedliche und bringen damit
angeblich Unvereinbares zu einer Synthese.
- sind dabei, die
tradierten und einengenden Rollenmuster von Mann und Frau zu
verändern. Sie setzen sich für
die Gleichberechtigung und die Kooperation der Geschlechter ein. Sie
sprechen aber nicht mehr von einem „Geschlechterkampf” (wie es in
den Anfangszeiten des Feminismus der Fall war), denn sie wissen, dass
trotz aller Unterschiede – die ja eher gering sind – der Mann und
die Frau im Wesenskern gleich sind und für die Lösung der
partnerschaftlichen und familiären Probleme zusammenarbeiten müssen.
Immer mehr Männer der neuen Generation verweigern die klassischen
männlichen Rollenbilder und suchen sich berufliche Betätigungsfelder
und Lebensentwürfe, die ihren wirklichen Talenten und Interessen
entsprechen und es ihnen ermöglichen, wieder mehr Zeit ihrer Familie
und ihrem Privatleben zu widmen.
- gehen neue Wege im Umgang mit ihren Kindern und Jugendlichen. Immer mehr Eltern, Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen wenden sich von dem alten autoritären und gewaltsamen Erziehungs- und Bildungsparadigma ab, welches auf Strafen und Belohnen, Drohen, Angst, Druck, Leistung, Konkurrenz und Bewertung beruht, und erproben neue, alternative, gewaltfreie bzw. empathische Erziehungs- und Bildungsansätze (HINWEIS: zu diesem Thema habe ich einen extra Text verfasst).
- legen großen Wert auf soziale, humanistische und ethische Werte und Ideale, ohne sich einer bestimmten Ideologie, Partei oder religiösen Glaubensrichtung bzw. Kirche zugehörig zu fühlen. Diese universalen Werte und Überzeugungen bringen sie ohne viel Aufhebens auf stille und doch sehr konkrete und pragmatische Weise zum Ausdruck. Sie wollen aber nicht ihre Werte anderen aufdrängen, daher ist ihnen politischer oder religiöser Fanatismus oder Extremismus befremdlich. Sie fühlen sich in erster Linie ihrem Gewissen (innere Stimme, Intuition), ihren inneren Werten und ihrer Authentizität verpflichtet, als sich äußeren gesellschaftlichen und religiösen Normen und Autoritäten unreflektiert zu unterwerfen. D.h., sie lassen sich nicht von außen instrumentalisieren, denn sie sind gewohnt, selbstständig und unabhängig zu denken und zu handeln.
- wollen die
geistige und irdische Dimension des Menschen in eine gesunde Balance
bringen.
Eine Religiosität bzw. Spiritualität, die sich durch Scheinheiligkeit, bloße Lippenbekenntnisse und Abgehobenheit äußert, ist ihnen eher suspekt. Aber genauso stehen sie einer ausschließlichen materiellen Weltsicht skeptisch gegenüber. Vielmehr begreifen sie den Geist und die Materie (Himmel und Erde) als zwei Aspekte des menschlichen Lebens, die es gilt, in eine gesunde und ausgewogene Balance zu bringen. Wenn Bewusstheit (SEIN) und Handeln (Tun) in Balance sind, spricht man auch vom „SEIN im TUN“. Um beide Aspekte ausgewogen zu leben, ist es aber erforderlich, dass Phasen der inneren Besinnung und der äußeren Aktivität sich ablösen.
Die Zahl der Mitglieder einer „Reifen-Zivilgesellschaft“ und damit ihr gesellschaftlicher Einfluss werden in den nächsten Jahren weltweit noch stark ansteigen. In dieser Hinsicht wird die anwachsende “Reife Zivilgesellschaft” zunehmend eine immer wichtigere und entscheidende Rolle im globalen Wandlungsprozess spielen.